New Orleans

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NOLA

 

Eine Stadt, die süchtig macht. "Sie ist lebendig, sie ist krass, sie ist bunt, sie ist gnadenlos direkt", schrieb ich in meinem Reisebericht über sie (siehe unten). Leider konnte dieser Rausch nur drei Tage anhalten, dannn musste ich wieder weg. Aber ich komme wieder. Das schwöre ich bei allen guten Geistern von Louisiana.

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Sinnlicher Ausnahmezustand

 

Meine Augen schielen, die Fernsicht geht gegen null, Fotografier-Kollaps. New Orleans!

 

Wir sind für drei Tage vor Ort und nach dem ersten davon bin ich bereits k.o. Stundenlang habe ich heute das French Quarter durchstreift und jeden Nanoquadratmeter davon fotografiert. An jeder Ecke eine Band, ob Jazz, Blues, Marsch oder Fusion, und so viele Restaurants, Cafés, Bars und Clubs, dass man Monate bräuchte, um sie alle zu inspizieren. Und dann das wilde Potpourri aus knallig-abgeblätterten, mehrfach übermalten oder minutiös lackierten Häuserfronten, die die Sinne zur Explosion bringen. Ziselierte Balkone, holzumsäumte Veranden und alte Lamellen-Fensterläden, die noch mit den Überbleibseln von Mardi Gras dekoriert sind. Lila-Grün-Gold. Überall. Blitzendes Lametta. Venezianisch anmutende Masken. Quietschbunte Perlenketten. Von Mulis gezogene Kutschen, die die touristischen Frühaufsteher herumkarren. Und über all dem ein Hauch von regennasser Morbidität. Vodoo!

 

Um zehn Uhr morgens ist die Bourbon Street noch menschenleer. Nur ich und ein paar ausgespuckte Seelen geistern herum. Budweiser-Trucks liefern Nachschub. Jemand wischt den Boden der Bar auf. Ein Hund jault. Bis zum Mittag habe ich eine halbe 16Gig-Speicherkarte verschossen und dem Drang widerstanden, eine Vodoo-Puppe (Marke „Love Life“) zu kaufen oder mir die Tarot-Karten legen zu lassen. Dabei kommt die Sonne erst am Nachmittag heraus. Ich muss den Streifzug ein zweites Mal machen. Meine Füße schmerzen, mein Geist ist hellwach. Totenschädel-Souvenirs wohin ich blicke. T-Shirts für jeden einzelnen Spieler der „All Saints“ . Beignets, Macarons und French Toast, die Cuisine Cajun oder kreolisch, Crab Meat, Red Fish und Oysters. Getrocknete Krokodil-Schädel, übereinander aufgetürmt. Die „Fleur de Lis“ in Silber, Edelstein, Straß oder Schokolade gegossen. Käufliche Touristenattraktionen von Kitsch über Tand bis Kunst. Alles eingetaucht in den Charme des Einstigen, Verfallenen.

 

Am Nachmittag rückt die Touristenhorde in Wagenladungen an und die Bourbon Street klappt ihre Bürgersteige herunter. Der erste Blues dringt betörend aus einer Bar. Auf die Straßen von Burgundy bis Chartres legt sich ein feiner, pulsierender Beat. Ich groove mit. Dazwischen immer wieder fragende, bettelnde Hände, schwarz, braun oder weiß, laut oder still, nüchtern, auf turkey oder zugedröhnt. Einer hält ein Pappschild vor seinen Bauch, auf dem „too ugly for prostitution“ steht. Es stimmt nicht. Ein zweiter singt a capella für ein Paar und ein paar Cents. Ein dritter, Kriegs-Veteran offensichtlich, fertigt Luftballonfiguren für Kleinkinder an. Andere strecken mir einfach wortlos und ohne sichtbare Gegenleistung einen leeren Papp-Kaffeebecher entgegen.

 

Wildwest-Tourismus neben pittoresken, privaten Straßen. Grünhaarige, schräge Individualisten neben amerikanischen Sneakers-und-Shorts-Klischees. Schlipsträger neben Rasta-Gelockten. Stylische Finanz-Wolkenkratzer in silber neben serieller Holzhäuschen-Idylle in quietschbunt. Großstadt-Schluchten neben Mississippi-Promenaden. Medizinkongress-Vertreter neben verranzten Lebenskünstlern. Einen der ersten Kategorie lernen wir am Abend kennen, als wir aus dem fantastischen „Red Fish“-Restaurant auf die pulsierende Bourbon Street fallen. Wir nennen ihn „Photo Boy“ - weil er geschätzte zehn Anläufe braucht, um ein einigermaßen belichtetes Foto von uns zu schießen. Mag am Alkoholspiegel liegen oder auch nicht. Der Spitznamen gefällt ihm jedenfalls nicht. Wir dagegen schon. Ein Kleinstadt-Licht aus einem Kaff aus Georgia, mit nur vagen Vorstellungen wie Europäerinnen so sind. Von den Balkonen regnen derweil lilafarbene, goldene und grüne Plastikperlenketten auf uns herunter, ohne dass wir „flashen“ müssten. „Hey Baby, Honey, Hot Mama!“ New Orleans ist entfesselt. Und auch die angereisten „Schlipsies“ tauen langsam auf. Man lebt schließlich nur einmal. Im Jetzt.

 

Ich bin entzückt. Très enchantée. Das erklärt auch, warum ich in den zwei Tagen in New Orleans bei Weitem mehr Fotos verschossen habe als in drei Wochen L.A. zusammen. Das ist eine Stadt, die inspiriert. Sie ist lebendig, sie ist krass, sie ist bunt, sie ist gnadenlos direkt. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Hier war ich nicht das letzte Mal, schwöre ich bei allen Heiligen und guten Geistern von Louisiana, bevor ich wehmütig das letzte Croissant in meinem Lieblings-Café namens „Bittersweet“ goutiere. Adieu, Nola, et a bientot.

 

Christina Maiia Moehrle

 

Impact Finance & Communications Expert

Writer & Photographic Artist